Der Niedersächsische Weg aus den AgriFood-Zielkonflikten

Der Forschungs-Praxisverbund diskutiert mit 170 Gästen Lösungsmöglichkeiten in Hannover

Rund 170 Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Beratung und landwirtschaftlicher Praxis diskutierten am 14.08.2024 Wege aus den Zielkonflikten im AgriFood-Sektor hin zu einem nachhaltigen, klimaverträglichen und ressourcenschonenden Agrarsystem der Zukunft. Gastgeber und Mitveranstalter der 5. Fachtagung des Verbundes Transformationsforschung agrar Niedersachsen (trafo:agrar) waren die Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. Als weiterer Mitveranstalter hatte das Agrar- und Ernährungsforum Nord-West e. V. zahlreichen Unternehmen und Wirtschaftseinrichtungen aus dem zweitwichtigsten Wirtschaftssektor Niedersachsens geladen.

Der Verbund trafo:agrar setzte auf ein neues Format: Am Vormittag wurden Fachvorträge zu den drei Zielkonflikte Flächennutzung, Tierhaltung der Zukunft und Ernährung der Zukunft gehalten. Auf dieser Basis wurde dann im Anschluss gemeinsam mit allen teilnehmenden in Kleingruppen Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen diskutiert und festgehalten.

Im Auftakttalk der Veranstaltung diskutierten der Präsident der Tierärztlichen Hochschule Hannover, Prof. Dr. Klaus Osterrieder, der Vorstandsvorsitzende des Agrar- und Ernährungsforums Nord-West e. V., der Fachbeiratsvorsitzender von trafo:agrar, Hans-Joachim Harms mit Prof. Dr. Nicole Kemper die den Herausforderungen und Aufgaben für Wissenschaft  in der Nachhaltigkeitstransformation.

Sehr große Beachtung erhielt der Eingangsvortrag von Prof. Dr. Kai Niebert, Universität Zürich, Präsident des Deutschen Naturschutzringes e. V. (DNR) und Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft zum Thema „Flächennutzung der Zukunft: Von Konflikten zu Synergien?“ Eindrucksvoll beleuchtete Prof. Niebert, dass die Bundesstrategien der einzelnen Ressorts die Fläche Deutschlands bei weitem überzeichnet haben. Er plädierte für ein ressortübergreifende, Ökosystem- und Lösungsorientierte Vorgehen, das alle Beteiligten auf Augenhöhe einbeziehe und verwies dabei auf den erfolgreichen Ansatz des Niedersächsischen Weges.

Stefan Ortmann, Stellv. Kammerdirektor und Geschäftsbereichsleiter Landwirtschaft der Landwirtschaftskammer Niedersachsen diskutierte anschließend mit Prof. Niebert und Karin Logemann, SPD, MdL Niedersachsen welche Prioritäten Niedersachsen im Spannungsfeld verschiedener Bedarfe in den Bereichen Moorschutz, Energiestandort, Nahrungsmittelproduktion und Kulturlandschaft setzen kann.

Im Workshop am Nachmittag trafen sich interessierte Teilnehmende, um die angesprochenen Themen zu diskutieren und mögliche Lösungsansätze zu finden. Die meiste Zustimmung fand der Vorschlag, den Niedersächsischen Weg auf regionaler Ebene als verbindlich zu setzen. Planungssicherheit war ebenso eine Forderung, die für das Gelingen von Nachhaltigkeitstransformation notwendig sind und eine weitere Idee war Neue Märkte für die Leistungen des ländlichen Raumes zu schaffen.

Der zweite Zielkonflikt thematisierte die Nutztierhaltung im Spannungsfeld zwischen Klima- und Umweltschutz, Energiewende, Tierwohl und Zoonoseprävention. Prof. Dr. Eberhard Hartung, Präsident des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) referierte zu Wechselwirkungen zwischen Klima- und Emissionsschutz & zukünftiger Tierhaltung. Aus Praxissicht wurde der Zielkonflikt anschließend sehr konkret von der Landwirtin Iris Tapphorn aus Lohne beleuchtet. Der Gänsehof Tapphorn plant eine Agri-PV in der Gänsehaltung aufzubauen, um zum einen Anforderungen an Tierwohl, Tier- und Seuchenschutz zu erfüllen, aber auch gleichzeitig ein weiteres Standbein für den eigenen Betrieb aufzubauen. In ihrem anschaulichen Vortrag beleuchtete Tapphorn die Schwierigkeiten im Genehmigungsverfahren auf verschiedenen Ebenen.

Im Rahmen des Workshops diskutierten die Teilnehmenden intensiv Lösungsansätze um innovative Vorhaben in der Landwirtschaft in den einzelnen Kommunen umsetzen können. Konsens bestand im Bedarf eine wertschätzende Fehlerkultur zu entwickeln, um innovativen Ansätzen mehr Raum zu geben. Außerdem brauche es mehr Mut und Entscheidungsbefugnis in der Verwaltung, um neuen Ideen überhaupt eine Chance zu geben. Es würden mehr Freiräume gebraucht, in denen gute Ideen ausprobiert werden können. Wenn all das gegeben sei, könnten Konflikte weniger schnell entstehen oder schneller gelöst werden – hierin waren sich alle einig.

Zum dritten Zielkonflikt unter dem Titel „Zukunftsprodukte aus der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette zwischen regionaler Produktion & Handelsmarken“ sprach Hendrik Wiedenroth, der als Consultant für Nachhaltigkeit im Einkauf bei Lidl Deutschland tätig ist. In einem vielbeachteten und diskutierten Vortrag stellte Wiedenroth die neue Nachhaltigkeitsstrategie des Lebensmitteleinzelhandelsriesen vor, die neben dem Verzicht auf Kinder-Marketing vor allem darauf abzielt, mehr pflanzenbasierte Proteine unter die Verbraucher*innen zu bringen. Dies solle mittels gleicher Bepreisung von veganen und tierischen Vergleichsprodukten allen Kunden schmackhaft gemacht werden. Außerdem wolle man konsequenter auf Herkunftskennzeichnung und Tierwohl achten. Frau Dr. Henrike Meyer zu Devern führte als Moderatorin die Diskussionsrunde und stellte in Frage, ob vegan denn immer gleich besser sei. Herr Prof. Dr. Bernard Brümmer, Vizepräsident für Forschung und Nachhaltigkeit an der Universität Göttingen stellte den Forschungsverbund „Zukunft Ernährung Niedersachsen“ (ZERN) vor, welcher aus systemischer Perspektive das hiesige Agrar- und Ernährungssystem zwischen regionalen und globalen Anforderungen untersucht.

Am Nachmittag diskutierten die Teilnehmer*innen der Tagung im Workshop-Format weiter. Hier kristallisierten sich spannende Lösungsansätze heraus. Insbesondere benötige eine Ernährungswende bessere Ernährungsbildung unter Kindern und Erwachsenen und weniger bzw. verständlichere Labels. „Der Verbraucher muss es verstehen“, dazu war aus den Gruppen zustimmendes Nicken zu sehen. Zudem müsse es mehr gesamtgesellschaftlichen Austausch geben und auch der Lebensmitteleinzelhandel sowie die Außer-Haus-Verpflegung müssen stärker in die Verantwortung genommen werden. „Der Impuls muss aus der Wirtschaft kommen“, wurde es von einem Teilnehmer auf den Punkt gebracht.

Die drei Veranstalter konnten auf eine sehr erfolgreiche Tagung zurückblicken. Die entwickelten Handlungsansätze werden in den kommenden Wochen und Monaten weiter konkretisiert und in Projekten verwendet.

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