Wie kann es gelingen, die moderne Nutztierhaltung langfristig und mit finanzieller Absicherung so umzugestalten, dass sie Akzeptanz bei allen gesellschaftlichen Gruppen erfährt? Das war die wesentliche Fragestellung an den ehemaligen Bundesminister und Leiter des „BMEL-Kompetenzkreises zum Umbau der Nutztierhaltung“, Jochen Borchert, den Uwe Bartels, Vorsitzender des Agrar- und Ernährungsforums Oldenburger Münsterland (AEF) zu diesem Austausch eingeladen hat. Daran teilgenommen haben mehr als 100 Vertreter der Branche. Moderiert wurde die Veranstaltung von Matthias Schulze Steinmann, Chefredakteur der top agrar. Borchert stellte im Rahmen dieses virtuellen Treffens die Ergebnisse der im Februar 2020 veröffentlichten Vorschläge zum Umbau der Nutztierhaltung vor.
Gleich zu Beginn der Sitzung machte Bartels deutlich, dass in der Vergangenheit bereits einige Nutztierhaltungskonzepte erarbeitet wurden. Diese verschwanden jedoch allesamt „in der Schublade“. Wertvolle Zeit sei verstrichen worden, Zeit welche die Tierhalter nicht hätten. Nun habe Borchert mit seinem Kompetenzkreis ein Papier vorgelegt, das über die Parteigrenzen hinweg sowie von allen Verbänden und Tierschutzorganisationen hohe Akzeptanz erfahren habe. „Auch wir, das AEF, halten grundsätzlich diese Vorschläge für die richtige Strategie, die aber nur dann eine Zukunftsperspektive eröffnen werden, wenn sie in allen Komponenten konsequent umgesetzt werden“, so Bartels. Dieses reiche von den politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen über die Langfristigkeit und Verlässlichkeit des Finanzierungskonzeptes, eine verpflichtende Kennzeichnungsregelung sowie die Beseitigung der bau- und genehmigungsrechtlichen Hemmnisse für Um- und Neubauten von Stallanlagen.
Borchert machte deutlich, dass sich bereits heute deutlich der Strukturwandel in der Nutztierhaltung zeige. In den vergangenen Jahrzehnten sei die Tierhaltung vornehmlich ökonomischen Kriterien unterlegen gewesen, heute erhöhten ökologische und ethische Belange den Druck auf die Tierhalter. Wenn nichts unternommen werde, würde die Nutztierhaltung in Deutschland noch stärker zurückgehen. In anderen europäischen Ländern werde die Tierhaltung ohne Rücksicht auf Tierwohlaspekte weiter ausgebaut. „Das kann nicht das Ziel der deutschen Agrarpolitik sein“, so Borchert. Was die Finanzierung der Umstellung anbelange, so konstatierte Borchert, das Tierwohl ein öffentliches Gut sei, daher seien Tierschutz und Tierwohl bereits seit dem Jahr 2002 im deutschen Grundgesetz verankert. Und genau aus diesem Grund müssten Tierwohlanstrengungen auch durch öffentliche Gelder finanziert werden. Die Verlässlichkeit des Finanzierungskonzeptes allerdings konnte Borchert über mehrere Legislaturperioden nicht zu 100% garantieren. Sicher sei jedoch die Absicherung von Produktions- und Investitionsprämien durch Verträge, die der Bund mit umstellungswillligen Landwirten abschließe. Wer heute aktiv einen Neu- oder Umbau plane, dem sei für die nächsten zwanzig Jahre die Förderung gesichert.
Auch sprach sich Borchert für die zügige Anpassung der sich behindernden Bau- und Umweltgesetze aus. Dafür erarbeite das Kompetenznetzwerk derzeit Lösungsvorschläge. Um diese rechtlichen Anpassungen anzugehen, bedürfe es einer zwingenden und schnellen Entschließung durch die Bundesregierung. Borchert forderte die Landwirte und Akteure der Branche auf, Druck auf die politischen Vertreter auszuüben und die Betroffenheit der Landwirte deutlich zu machen. „Wir stehen jetzt vor der Frage, ob wir die bevorstehenden Veränderungen selber gestalten wollen, oder ob wir Getriebene sind. Selber gestalten, dass ist für alle der richtige Weg, so Borcherts Botschaft an die Landwirte.
In seinem Resümee machte Bartels nochmals deutlich, dass das AEF und seine Mitglieder diesen Weg pro-aktiv mitgestalten wollen. Man sei veränderungsbereit für Vorschläge, die wissenschaftlich belegt und in der Praxis umsetzbar seien. Auch habe man im Rahmen des Niedersächsischen IMAK (Interministerieller Arbeitskreis) Bauhemmnisse für Um- und Neubau von Ställen aufgezeigt und Lösungsvorschläge erarbeitet, die nun der Bundesregierung vorgelegt werden sollen. Die Bundesregierung müsse die entsprechenden Gesetze unverzüglich ändern. „Ich erhoffe mir für die gesamte Branche, dass es nun schnell zu einer grundsätzlichen Bundestagsentscheidung und zu einer Verlässlichkeit über mehrere Legislaturen kommt“, so Bartels. Insbesondere für das Oldenburger Münsterland mit seiner Tierhaltung und der Wertschöpfungskette müsse ein Sicherheitsrahmen geschaffen werden, der zwingend auch die Folgenabschätzung und Evaluierung der Maßnahmen vorsehe. Daher werde das AEF mit seinen Mitgliedern zeitnah eine Arbeitsgruppe etablieren, die diesen Prozess aktiv begleite.