Parlamentarischer Abend des Genossenschaftsverbands Weser-Ems und des Agrar- und Ernährungsforums Nord-West: Branchenvertreter diskutierten intensiv mit dem Niedersächsischen Umweltminister Christian Meyer über die Chancen und Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität. Unternehmen fordern mehr Unterstützung und politische Verlässlichkeit. Ansonsten werde der Agrarstandort in seiner Wettbewerbsfähigkeit stark benachteiligt. Dies hätte negative Auswirkungen auf CO2-Belastung durch Importe aus anderen Ländern, auf die Versorgungssicherheit und den Wohlstand.
Hannover / Weser-Ems – Die Agrar- und Ernährungswirtschaft in Weser-Ems bekennt sich laut einer federführend vom Genossenschaftsverband Weser-Ems (GVWE) zusammen mit dem Agrar- und Ernährungsforum Nord-West (aef) durchgeführten aktuellen Unternehmensumfrage klar zum Klimaschutz. „Die Mitgliedsunternehmen des GVWE und des aef sind sich ihrer Verantwortung bewusst und mit einer überwältigen Mehrheit der Ansicht, dass Niedersachsen als Agrarland Nr. 1 in Deutschland beim Klimaschutz seinen Beitrag leisten muss. Aber die Unternehmen müssen in den Transformationsprozess einbezogen werden und eine umsetzbare Klimastrategie für die Branche ausgearbeitet werden, die den Möglichkeiten und Voraussetzungen der Landwirtschaft Rechnung trägt“, sagte Johannes Freundlieb, Verbandsdirektor des Genossenschaftsverbands Weser-Ems, am Mittwochabend in Hannover auf dem Parlamentarischen Abend vor rund 100 Zuhörenden, zu dem beide Verbände gemeinsam eingeladen hatten. Rund zwei Drittel der Unternehmen beschäftigten sich bereits aktiv mit dem Thema. 30 Prozent der Befragten entwickele zudem bereits eine entsprechende Strategie, wie sie konkret auf die Vorgaben des Niedersächsische Klimagesetzes reagieren werden.
Gleichzeitig erwarte die mittelständisch geprägte Wirtschaft, dass die Politik und Verwaltung sie auf dem Weg zu Null-Treibhaus-Emissionen unterstütze, entsprechend klare Rahmenbedingungen schaffe und die Bemühungen anerkenne, um diesen Transformationsprozess gemeinsam erfolgreich gestalten zu können. Insbesondere sollte Landwirtschaftspolitik stärker auf markwirtschaftliche Lösungen setzen, lautete ein Kritikpunkt. Die politischen Zielvorgaben hielten die Vorstände und Geschäftsführungen unter den bestehenden Rahmenbedingungen zudem für „sehr herausfordernd“, formulierte Freundlieb in Richtung des niedersächsischen Ministers für Umwelt, Energie und Klimaschutz, Christian Meyer, der an dem Abend auf dem Podium mit Branchenvertretern intensiv diskutierte. Niedersachsen ist mit dem Ziel, bis 2040 klimaneutral zu sein, deutlich ambitionierter unterwegs als der Bund und viele andere Bundesländer (bis 2045) sowie die EU (bis 2050). „Die Sorge um Wettbewerbsnachteile und eine weiter steigende Bürokratie ist bei der Unternehmensumfrage sehr deutlich geworden“, so Freundlieb.
Der Minister betonte, dass das Land Niedersachsen mit seinen neuen Klimagesetz einen anspruchsvollen, aber notwendigen Fahrplan vorgelegt habe. Bis 2040 sollen danach die Treibhausemmissionen sukzessive auf null sinken. Die Agrar- und Ernährungswirtschaft ist für ihn die Schlüsselbranche auf dem Weg zur Klimaneutralität. „Niedersachsen als Agrarland Nr. 1 in Deutschland kann diesen Weg nur zusammen mit den Landwirten gehen und muss deren Engagement dabei stärker anerkennen“, sagte Meyer. So sei die Agrarbranche nicht nur beim Ausbau der Erneuerbaren Energien unverzichtbar, auch bei den Themen Wassermanagement, Wiedervernässung der Moore, Kreislaufwirtschaft und vielen mehr spiele sie eine mitentscheidende Rolle. Die Leistungen in Bezug auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz müssten stärker honoriert werden. Er wolle sich dafür einsetzen, das entsprechende Ausgleichsprämien dafür gezahlt werden und das Engagement in den politischen Strategien seinen Niederschlag finde.
Die Milchviehhalterin Anita Lucassen aus Elisabethfehn (Landkreis Cloppenburg), Karsten Klokkers, Geschäftsführer der Viehvermarktung Uelsen e.G., Dr. Dirk Köckler, Vorstand der AGRAVIS Raiffeisen AG in Münster, und Maximilian Ruhe von der Ruhe Unternehmensgruppe in Bakum (Landkreis Vechta) zeigten mit vielen Beispielen, dass die Agrarbranche innovativ und nachhaltig wirtschafte, bereits hohe Investitionen tätige und an vielen Stellschrauben drehe, um die CO2-Emissionen zu senken. Gleichzeitig hätten sie das Gefühl, dass die Politik diese Bemühungen nicht entsprechend berücksichtige. So stellten sie dem Umweltminister Fragen zur geplanten Moorvernässung, die die im internationalen Vergleich sehr CO2-effiziente Milchproduktion in der Region gefährde, zur ressourcenschonenden und nachhaltigen Fleischproduktion in Weser-Ems, die mehr Emissionseinsparungen bewirke als ein vielfach propagierter Konsumverzicht, zur durch hohe Auflagen gefährdeten Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Land- und Ernährungswirtschaft und einem damit verbundenen Anstieg von Importware, die in der Regel unter deutlich ungünstigeren CO2-Bedingungen produziert werde und gleichzeitig die Versorgungssicherheit und Autarkie gefährdete. Zudem stand die Landwirtschaftspolitik im Fokus der Kritik, die vielfach keine verlässlichen Rahmenbedingungen für die Landwirte biete.
Dazu diskutierte das Forum unter der Moderation von Dr. Barbara Grabkowsky, die den Verbund Transformationsforschung agrar Niedersachsen (trafo:agrar) mit Sitz an der Universität Vechta leitet, kontrovers. Minister Meyer betonte, dass er die Argumentation der Landwirtschaft nachvollziehen könne und sich vor allem in Berlin für stärker pragmatische Lösungen einsetzen werde. Niedersachsen bekenne sich dabei klar zur Nutztierhaltung und einer regional hochwertigen und innovativen Agrarwirtschaft. Dabei sei es das Ziel, möglichst geschlossene Kreisläufe zu schaffen, die die Basis für mehr Klimaschutz sei. Dieses Bekenntnis hatte zuvor AGRAVIS-Vorstand Dr. Köckler eingefordert. Es sei ein wichtiges Signal an die vielen Familienbetriebe, die am Rückhalt der Politik zweifelten.
Die Diskussion wurde im Plenum weitergeführt, in dem zahlreiche Landtagsabgeordneten ihre Blickwinkel mit den Branchen- und Verbandsvertretern austauschten. Der Landtagsvizepräsident Jens Nacke aus dem Ammerland hatte zuvor in seinem Grußwort gesagt, dass die Landwirtschaft für die Transformation der Wirtschaft vor allem im Ländlichen Raum eine zentrale Rolle spiele: wirtschaftlich, aber auch gesellschafts-politisch und als wichtiger Teil der kommunalen Gemeinschaft. aef-Vorsitzender Sven Guericke betonte, dass die Veranstaltung bewusst unter den Titel „Klimaneutralität gemeinsam gestalten: Herausforderungen und Chancen für die Agrar- und Ernährungswirtschaft“ gestellt worden sei. Mehrheitlich sehen die Unternehmen und Landwirte vor allem die Chancen, die die grüne Transformation biete. Um diese wirtschaftlichen Potenziale nutzen zu können, müsse Politik aber den passenden und verlässlichen Rahmen schaffen. Dies sei aktuell nur schwer zu erkennen.
Verbandsdirektor Freundlieb betonte, dass die Agrar- und Ernährungswirtschaft sich als eine der Schlüsselbranchen im Kampf gegen den Klimawandel verantwortlich dieser Herausforderung stelle. So seien bereits in den vergangenen Jahren die Treibhausgasemissionen kontinuierlich gesenkt worden. Dazu hätten vor allem eine gesteigerte Effizienz in der Produktivität beigetragen. Beispielsweise sorgten Smart-Farming-Lösungen – die intelligente Vernetzung von Systemen und Maschinen – für einen effektiven und ressourcenschonenden Einsatz von Betriebsmitteln. Aber auch der Ausbau erneuerbarer Energien, die Optimierung der Futtermittel, um den Ausstoß klimarelevanter Gase weiter zu reduzieren, bis hin zu klimaschonenden Produktionsverfahren und der Entwicklung von Maßnahmen für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zählten zu den Maßnahmen, in die investiert worden seien.
Der AGRAVIS-Vorstand Dr. Köckler forderte vor allem Anreize statt Verbote von der Politik: „Die Investitionen in den Klimaschutz müssen sich für die Betriebe rechnen. Es gilt Innovationen zu fördern und nicht immer neue Verbote aufzustellen.“ Darauf baut auch der Unternehmer Ruhe, der in die innovative Produktion von grünem Treibstoff für Lkw, Busse, Traktoren und Schiffe investiert. Die von der Unternehmensgruppe entwickelten Bio-LNG-Anlagen sorgten für erhebliche CO2-Einsparungen. Das Land förderte aber vor allem die Schaffung von Importkapazitäten für Flüssiggas über die Häfen Stade und Wilhelmshaven und erhöhe gleichzeitig die Auflagen für die heimische Biogasproduktion. Zudem fielen Biogasanlagen zunehmend aus der EEG-Förderung raus. Das setze der Branche stark zu. Minister Meyer betonte, dass er bereits intensiv mit der Bundesregierung für die Stärkung der Biogasanlagen diskutiere. Dieser Energieträger ermögliche einen kostengünstigen Klimaschutz und sei in großen Mengen vor Ort verfügbar.
Viehvermarktungs-Geschäftsführer Klokkers betonte, dass die wirtschaftliche Situation der Schweinehalter gut sei: „Dennoch blicken viele in eine aus ihrer Sicht düstere Zukunft.“ Dafür machte er die Politik verantwortlich. Steigende Bürokratie, fehlende Planungssicherheit und die stetig steigenden Auflagen für die Tierhalter in Deutschland sorgten für fehlende Perspektiven, da die steigenden Kosten die Erlöse „auffressen“ würden. Fleisch müsse aber bezahlbar bleiben. Die heimischen Schweinehalter sehen sich dabei einem zunehmend ungleichen Wettbewerb mit ihren europäischen Berufskollegen ausgesetzt, die ihre Tiere mit deutlich geringem Aufwand halten könnten.
Auch die Milchviehhalterin Lucassen betonte, dass ihr mit viel Kapital hochentwickelter Betrieb nachhaltig wirtschafte: „Wir produzieren etwa ein Drittel weniger CO2 als der Durchschnitt der Milchviehbetriebe.“ Der Hof liege jedoch in einer vor vielen Jahrzehnten abgetorften und tiefgepflügten Moorregion. Die geplante Wiedervernässung würde aber eine CO2-Reduzierung von nur 2 bis 3 Prozent bewirken. Die Milchviehhaltung wäre dort dann nicht mehr möglich. Die Nachhaltigkeitsbemühungen ihres Betriebes würden bei möglichen Wiedervernässungsplänen nicht berücksichtigt und die CO2-Bilanz würde sich verschlechtern, befürchtet die Landwirtin.
Infos im Überblick
Agrar- und Ernährungsbranche Weser-Ems
Mit einem Produktionswert von rund 13 Milliarden Euro jährlich ist Niedersachsen nach Angaben der Landesregierung das Agrarland Nr. 1 in Deutschland, in dem rund 400.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt mit der Land- und Ernährungswirtschaft verbunden sind. Ein Schwerpunkt stellt dabei die Weser-Ems-Region dar, die sich durch eine hochentwickelte moderne Agrar- und Ernährungswirtschaft auszeichnet. In den klein- und mittelständisch geprägten Branchen ist vom „Hidden Champion“ bis hin zum Familienbetrieb eine breite wirtschaftliche Vielfalt zu finden, die für eine verlässliche und resiliente Wirtschaftskraft sorgt.
Umfrageergebnisse im Detail: Erwartungen/Einschätzungen der Agrar- und Ernährungswirtschaft zum Niedersächsischen Klimagesetz
Unternehmen aus der Agrar- und Ernährungsbranche im Nordwesten wurden in den vergangenen Monaten zum Klimaschutz befragt. Die Befragung wurde federführend von dem Genossenschaftsverbands Weser-Ems (GVWE) durchgeführt, der dabei mit dem Agrar- und Ernährungsforum Nord-West (aef) zusammengearbeitet hat. Die zehn Fragen wurden von 86 teilnehmenden Geschäftsführern und Vorständen der Agar- und Ernährungsindustrie beantwortet. Danach sagten 93 Prozent der Befragten, dass Niedersachsen als Agrarland Nr. 1 seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten solle. Rund zwei Drittel der befragten Führungskräfte (65%) hat sich danach bereits mit den Folgen des Niedersächsischen Klimagesetzes für das eigene Unternehmen beschäftigt. 30 Prozent sind danach zudem bereits dabei, eine entsprechende Strategie und Maßnahmen zu entwickeln. Dabei fühlen sich 88 Prozent der Befragten über den Niedersächsischen Klimagesetz nicht ausreichend informiert.
Das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 halten die meisten Unternehmen für nicht möglich. Lediglich 15 Prozent bejahen die Frage, ob ihr Unternehmen bis dahin klimaneutral aufgestellt sein wird. 37 Prozent verneinen dies. 48 Prozent kann dies nicht verlässlich einschätzen. Noch pessimistischer schätzten die Befragten ein, ob die gesamte Wertschöpfungskette inklusive der landwirtschaftlichen Primärproduktion bis 2040 klimaneutral aufgestellt werden könne. Dies halten nur zehn Prozent für möglich und mit 54 Prozent mehr als die Hälfte für unrealistisch. Insgesamt beurteilen die Befragten, die durch die Transformation entstehenden Chancen als vielfältig ein. Vor allem werden innovative Konzepte zur Weiterentwicklung des Agrarstandorts (26 Prozent) sowie zur Kreislaufwirtschaft (25 Prozent) erwartet. Auch ökonomischen Vorteile durch Effizienzsteigerungen (19 Prozent) sowie die Entwicklung neuer Produkte und Technologie (17 Prozent) werden genannt. Lediglich 5 Prozent sehen keine Chancen. Allerdings werden auch die Risiken gesehen. So wurden unter anderem genannt, dass die Bürokratie steigen könnte (38 Prozent), Wettbewerbsnachteile entstünden (32 Prozent) oder Unternehmen abwandern könnten (21 Prozent).