Um das Kräfteverhältnis und die Übermacht des Lebensmitteleinzelhandels gegen Landwirte und Erzeuger zu beleuchten, dazu hatte das Agrar- und Ernährungsforum Oldenburger Münsterland 08.12.2020 zu einer Online-Tagung eingeladen. Eingeladen waren Vertreter aus Politik sowie Experten landwirtschaftlicher und genossenschaftlicher Verbände.
Im Detail ging es um die UTP-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken, die das EU-Parlament bereits Anfang des Jahres auf den Weg gebracht hat. Diese soll bis Mai 2021 in deutsches Recht umgewandelt werden; ein Kabinettsbeschluss liegt vor. Dieser geht eindeutig über die europäische Vorlage hinaus. So wurden nicht nur die Inhalte der sog. „schwarzen Liste“ 1:1 übernommen, sondern zum Teil auch Inhalte der „grauen Liste“, die problematische aber verhandelbare Praktiken beinhaltet. Um diese Positionen ringen derzeit die Fraktionen im Bundestag. Bereits im August 2020 hatte das AEF das Thema mit Experten aufgegriffen. Moderiert wurden beide Veranstaltungen von Johannes Eiken, dem Sprecher der AEF-Arbeitsgruppe „Strategien der Lebensmittelwirtschaft“.
Uwe Bartels, AEF-Vorsitzender und Ex-Landwirtschaftsminister, zeigte Verständnis für den Unmut der Landwirte. „Die Demonstration der Landwirte vor den Auslieferungslagern von Lidl und Aldi verdeutlicht eindrucksvoll das beklagte Ungleichgewicht zwischen Landwirten und Handel. Es ist zwingend notwendig, Regeln für einen fairen Umgang zwischen Marktriesen und Landwirte aufzustellen, wie es die UTP-Richtlinie will“, so die Aussage Bartels. Er kritisierte weiter die fehlende Beweislastumkehr und die zu niedrige Umsatzgrenze in dem Gesetzesentwurf.
Die stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Gitta Connemann betrachtet die Umsetzung der UTP-Richtlinie lediglich als einen „ersten Schritt“. Am Ende brauche die Erzeugerseite mehr Unterstützung, um auf Augenhöhe mit dem LEH zu verhandeln. Sie sprach sich für eine Erhöhung der Umsatzgrenze, die Lieferanten unter den gesetzlichen Schutz stellt, von 350 Mio. Euro auf 2 Mrd. Euro aus. Auch plädierte Connemann für eine verbindliche Haltungs- und Herkunftskennzeichnung der Ware, um die Wettbewerbsfairness auf EU-Ebene zu gewährleisten.
EU-Politiker und Vorsitzender des EU-Handelsausschusses, Bernd Lange, machte deutlich, dass mit der UTP-Richtlinie und dem vorliegenden Lieferkettengesetz die Gleichbehandlung aller Teilnehmer der Lieferkette sichergestellt werden solle. Es dürfe nicht sein, dass Risiken innerhalb der Kette immer auf das „schwächste Glied“ abgewälzt würden. Er wünsche sich im Grundsatz gesetzliche Leitplanken und einen europäischen Rahmen in der sozialen Marktwirtschaft. Als Alternative für die Beweislastumkehr sah Lange die Einrichtung einer Ombudsstelle, da die Erzeugerseite sich scheue, unlautere Handelspraktiken seines Kunden offenzulegen. Vertrags-verletzungen seitens des Handels dürften nicht ohne Konsequenzen bleiben und müssten geahndet werden.
Birgit Buth, Geschäftsführerin des Deutschen Raiffeisenverbandes, wünschte sich ebenfalls eine Erhöhung der Umsatzgrenze. Diese sei nicht ausschlaggebend für die Kraft am Markt. Sie sieht, anders als Lange, die Beweislastumkehr als einziges probates Mittel zum Schutz der Erzeugerseite. Ebenfalls müsse die später zuständige Umsetzungsbehörde eine solide finanzielle und personelle Ausstattung erfahren, damit die Marktmacht ausbalanciert werde. Dazu zählte ebenso, dass diese Behörde unabhängig fungiere.
Diese Aussage wird unterstützt von dem stellvertretenden Generalsekretär des Bayerischen Bauernverbandes, Carl-Wilhelm von Butler. Er sieht in der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) als unabhängigen „Blauhelm“ für die Branche. Auch wünsche er sich die vollständige Übernahme aller Punkte aus der „schwarzen und grauen“ Liste in das Gesetz und sprach sich für die Beweislastumkehr und für eine Erhöhung der Umsatzgrenze aus. Er gab zu Bedenken, dass es seitens der Landwirtschaft noch erhebliches Potenzial bei der Verbesserung von Vermarktungsstrukturen gebe.
Diesen Ausführungen schloss sich Jörn Ehlers, Vizepräsident des Niedersächsischen Landvolkes an. Das Landvolk befürworte die Umsetzung der UTP-Richtlinie. Allerdings stünden die Landwirte, vor allem die Schweinehalter, unter einem enormen Druck. In der Vergangenheit habe der Anteil der Wertschöpfung für die Landwirte bei einem Drittel gelegen. In der Zeitspanne von Januar bis heute hätten die Schweinehalter davon nochmals 20 % einbüßen müssen. Ehlers stellte zudem die Höhe der Vertragsstrafe in Frage. Diese liege seitens bei max. 500.000 Euro und sei somit für den LEH keine abschreckende Summe.
Das es viel mehr brauche als die UTP-Richtlinie, dafür plädierte Hans Foldenauer, Vorstands-sprecher des Bundes der Deutschen Milchviehhalter. Er sieht, insbesondere bei den Milchviehhaltern, ein starkes Marktmachtgefälle zugunsten der Verarbeitungsstufe und nicht nur des LEH. Die Landwirte benötigten keine finanzielle „Beruhigungspille“, sondern vielmehr eine Lösung der Mengenprobleme und Marktmechanismen.
Dass die UTP-Richtlinie zwar im Grundsatz richtig ist, jedoch nur ein erster Schritt sei, wurde unisono von allen Teilnehmenden bestätigt. Um die Wettbewerbsfähigkeit im Ausland dauerhaft zu gewährleisten, sei dringend eine verpflichtende Herkunfts- und Haltungs-kennzeichnung erforderlich, auch damit der hohe Standard bei der Tierhaltung in Deutschland sichtbarer werde. Was allerdings die Auslegung der Gesetze und Abkommen im Ausland betreffe, so war festzustellen, dass es eine große Spannbreite bei der jeweiligen Exekutive der EU-Mitgliedsländer gebe.
Eine große Koalition aus Landwirten, Genossenschaften und Ernährungsindustrie sollte, so Moderator Eiken im Schlusswort, könnten ihren Einfluss nutzen, um die diskutierten Änderungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren durchzusetzen. Nur mit einer Erhöhung der Umsatzgrenzen können die Kräfteverhältnisse auf den Agrarmärkten neu ausbalanciert werden.