Ist die Wertschöpfungskette der Agrar- und Ernährungswirtschaft im OM vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Agrarpolitik noch zukunftsfähig? Und wie muss eine Transformation der gesamten Wertschöpfungskette im Sinne der Nachhaltigkeit gestaltet werden? Diesen Fragestellungen wurde vor rund 150 Teilnehmern am 03.02.2020 im Kreishaus Vechta mit zahlreichen Branchenexperten nachgegangen. Dazu eingeladen hatten das Agrar- und Ernährungsforum Oldenburger Münsterland unter Vorsitz des ehemaligen nds. Landwirtschaftsministers Uwe Bartels in Kooperation mit der Fachzeitschrift Land & Forst, deren Chefredakteurin, Maren Diersing-Espenhorst, die Moderation übernommen hatte.
Bereits im Begrüßungsdialog machte AEF-Vorsitzender Bartels deutlich, dass die Branche bereits heute pro-aktiv und mit innovativen Ansätzen die Erwartungen der Gesellschaft und Politik bei der Klima- und Tierwohldebatte erfüllen möchte, jedoch immer wieder am geltenden Recht scheitere. „Die Branche benötigt dringend eine klare Zielvorgabe für die künftige Ausrichtung der Agrar- und Ernährungswirtschaft, eine Neujustierung der sich behindernden Gesetze und die Regelung einer entsprechenden Finanzierung“, mahnte Bartels in Richtung Politik. Darüber hinaus regte er eine Studie zur Ermittlung der Auswirkungen der aktuellen Herausforderungen für die Wertschöpfungskette auf die ökonomischen und sozialen Strukturen im Oldenburger Münsterland an. Harmut Heinen, Erster Kreisrat des Landkreises Vechta, lobte die Bestrebungen der Branche und versprach, diese auf kommunaler Ebene weiterhin bei dem Transformationsprozess zu unterstützen. Aufgrund der rechtlichen Unsicherheitslage in der Landwirtschaft, ging dieser allerdings von einer Verringerung der jetzigen Tierzahlen in der Region aus.
Diesem Szenario stimmte Prof. Folkhard Isermeyer vom Thünen-Institut in seinem Impulsvortrag zu: Aus ökologischer Sicht würde erheblicher Druck der Gesellschaft in Richtung Verringerung der Tierzahlen ausgeübt. Mit einer Anhebung der verfügbaren Fläche für Tiere würden zwar weniger Tiere im Stall stehen, dafür müsse der Landwirt jedoch mittels einer Finanzierungsstrategie, die derzeit im BMEL-Kompetenzkreis Tierwohl erarbeitet würde, entschädigt werden. Für diese Umbauten müsse der Bund Kosten in Höhe von 3 bis 5 Milliarden Euro veranschlagen. Isermeyer sprach sich für ein gesellschaftliches Zielbild aus, wie künftig mit Tieren umgegangen werden solle. Für das Oldenburger Münsterland sieht Isermeyer zwei positive Entwicklungen. Zum einen bliebe der Landwirt – trotz Umbaus der Tierhaltung – mit der geplanten Förderung einkommensmäßig gleich gestellt. Zum anderen verhielten sich Tierwohl sowie das Umwelt- und Baurecht kohärent mit dem Zielbild einer künftigen Nutztierhaltung, was auch zwangsläufig zu mehr Um- und Neubauten von Ställen führen werde. Gleichzeitig stiege die Akzeptanz für die Tierhaltung.
Gert Stuke, Präsident der Oldenburgischen IHK, hob in seinem Vortrag die wirtschaftliche Stärke der Agrar- und Ernährungswirtschaft in dieser Region hervor. Aufgrund ihrer einzigartig geschlossenen Wertschöpfungskette sei es von hoher Wichtigkeit, den jetzigen Status Quo im Sinne aller Branchenbeteiligten zu erhalten. Was die Branche jetzt bei dem notwendigen Transformationsprozess benötige, seien gesellschaftliche Akzeptanz sowie ökonomische, ökologische und sozial verträgliche Konzepte und Lösungen – flankiert von der Politik. Stuke sprach sich aufgrund der hohen Innovationsstärke der Region sowie der immer stärker durchdringenden Digitalisierung innerhalb des Clusters grundsätzlich für ein qualitatives Wachstum der Branche aus. Damit werde die Region die bestehenden Herausforderungen langfristig lösen können. Beide Landkreise, Vechta und Cloppenburg, forderte Stuke auf, den Ausbau der digitalen Infrastruktur zu beschleunigen und den Transformationsprozess der Branche aktiv zu begleiten.
Im Rahmen von vier Podien wurden gezielt Vertreter der einzelnen Wertschöpfungsstufen zur künftigen Ausrichtung der Agrar- und Ernährungswirtschaft befragt. Das Oldenburger Münsterland werde zur Nagelprobe des Transformationsprozesses in Deutschland. „Wenn wir die Transformation nicht in dieser Region schaffen, dann wird es uns nirgendwo in Deutschland gelingen“, so Prof. Dr. Ludwig Theuvsen vom nds. Landwirtschaftsministerium. Diskutiert wird die mangelnde Kommunikation der Branche. Prof. Dr. Windhorst sieht die Branche vornehmlich getrieben durch den Lebensmitteleinzelhandel. Dieser werde künftig die Standards setzen. Auch werde die Blockchain-Technologie bis in die letzte Stufe der Wertschöpfungskette greifen.
Größte Herausforderungen bleiben – laut Aussagen der einzelnen Podiumsdiskutanten, insbesondere die der landwirtschaftlichen Vertreter – die fehlende Planungs- und Bestandssicherheit bei Stallumbauten, die fehlende konstruktive und ehrliche Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, was in der Praxis umsetzbar ist oder nicht, der Preisdruck auf dem Weltmarkt sowie die anhaltende Dürre und damit einhergehende Missernten aufgrund des Klimawandels.
Auf die Frage zur Ausrichtung der fleischverarbeitenden Branche und ob es einer Erweiterung des Portfolios um alternative Proteinquellen bedarf, war man sich einig, dass es nicht um ein „Entweder-Oder“, sondern vielmehr um ein „Sowohl-Als-Auch“ bei dem Nebeneinander von konventionell herstellten und Alternativ-Produkten gehen müsse. Windhorst gibt allerdings zu bedenken, dass jetzt eine Generation heranwachse, die nicht mehr nur mit Fleischkonsum groß werde. Diese Bevölkerungsgruppe würde künftig verstärkt die Ausrichtung der Branche beeinflussen.