Vechta, 25.09.2024: Ist Biogas ein entscheidender Faktor für die Energiepolitik von morgen? Welche Maßnahmen sind nötig, um bestehende Biogasanlagen zukunftssicher zu machen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Fachtagung „Regionale Energiekonzepte und Stärkung der kommunalen Wertschöpfung“ des Agrar- und Ernährungsforums Nord-West (AEF) am 24. September 2024 im Rathaus Bakum. Rund 50 Branchenvertreter nahmen teil, die Moderation übernahm Dr.in Lina von Fricken, Leiterin des AEF-Expertenkreises „Nachhaltigkeit in der Agrar- und Ernährungswirtschaft“.
Bakum als Vorbild für kommunale Wärmeversorgung
Die Gemeinde Bakum, 2012 erstmalig ausgezeichnet als Niedersächsische Klimakommune, gilt als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Allein durch den Mix an erneuerbaren Energiequellen konnte die Gemeinde im Jahr 2023 überproportional den Eigenbedarf an Strom sicherstellen. Hauptstromlieferant sind Photovoltaik-Anlagen auf allen kommunalen Gebäuden sowie drei Windkraftanlagen, durch die alle gemeindeeigenen Stromanschlüsse direkt mit Überschussstrom versorgt werden, so der Bürgermeister der Gemeinde, Tobias Averbeck. Seit 2009 setze die Gemeinde zudem auf die Wärmeversorgung durch Biogas. 11 Biogas- inklusive ihrer Satellitenanlagen erzeugen rund 42 Mio. KWh Strom pro Jahr; bei der Stromproduktion entstehen ca. 28 Mio. KWh Abwärme, was ca. einem Viertel des Wärmbedarfes der gesamten Gemeinde entspricht. Averbeck sieht darüber hinaus bei dem Umbau der Wärmeversorgung Potentiale bei der Nutzung von Geothermie.
Biogas: Ein unverzichtbarer Baustein im Energiemix
Auch das Unternehmen Ruhe Agrar aus Lüsche trägt mit innovativen landwirtschaftlichen Konzepten in den Bereichen Tierhaltung, Ackerbau und Biogasproduktion zu einem Gelingen der Energiewende bei. Mit insgesamt mehreren Biogasanlagen versorgt das Unternehmen 1.200 Haushalte mit Wärme. Jan-Bernd Pohlschneider, dortiger Nachhaltigkeitsmanager für den Biogasbereich, hob in seinen Ausführungen die Minderungseffekte der Biogasproduktion von auf die Treibhausgasemissionen hervor. Das Unternehmen setzt unter anderem auf die Aufbereitung von Biogas zu Bio-LNG für die LKW-Sparte. Im Vergleich zu allen anderen Kraftstoffen schneide Biomethan aus Wirtschaftsdünger besonders umweltfreundlich ab. Es müsse gelingen, die in Deutschland vorhandene Infrastruktur von bis zu 12.000 Biogasanlagen zu ertüchtigen oder zu modernisieren, um die Potentiale von Biogas für die CO2-Einsparung zu nutzen. Was zudem für Biogas spricht, seien dessen flexible Einsatzmöglichkeiten für Elektrizität, Wärme oder Antriebsenergie. Außerdem könne Biogas eine wichtige Verteilfunktion für Nährstoffströme erfüllen und zudem Abfälle sowie Reststoffe sinnvoll verwerten.
Biogas: Trotz Imageproblemen unverzichtbar
Auch Vanja Cobec von der Firma Vogelsang betrachtet die Biogasproduktion im aktuellen Strommix als einen zentralen Baustein bei der deutschen Grundlastversorgung. Biogas habe zwar nicht das beste Image, insbesondere auch aufgrund der Teller-Tank-Trog-Diskussion, biete aber zahlreiche Potentiale. Im Vergleich zu Braunkohle habe die Biogasproduktion im vergangenen Jahr 41,6 Millionen Tonnen CO2 eingespart und damit CO2-Zertifikate in Wert von 2,687 Milliarden Euro generiert. Basierend auf einer agrarheute-Umfrage und anhand eines Rechenbeispiels, bei der von einem Rückbau von insgesamt 7.700 Anlagen mit einem damaligen Investitionsvolumen von ca. 2,5 Millionen auszugehen sei, käme man auf ein deutschlandweit zu verschrottendes Anlagenvolumen in Höhe von 19,3 Milliarden Euro. Ein Abbau dieser Anlagen würde zu einer massiven Schwächung des ländlichen Raumes führen. Im Gegensatz zu Deutschland werde es Dänemark gelingen, aufgrund klarer politischer Rahmenbedingungen, einer konsequenten Nutzung von Reststoffen aus Industrie und Haushalt sowie der Erhöhung von Wirtschaftsdüngervergärung um 50%, bis zum Jahr 2030 unabhängig von fossilen Ressourcen zu sein. Von der deutschen Politik wünscht sich Cobec einen Stopp des Anlagen-Rückbaus durch neue Energiegesetze, mehr Technologieoffenheit, vereinfachte Genehmigungs-verfahren sowie einen rechtssicheren Investitionsrahmen.
Ohne Biogas keine 100 % erneuerbare Energieversorgung
Dass eine 100%-ige regenerative Energieversorgung in Deutschland nur mit Biogas gelingen kann, machte Martin Lass vom Agrarserviceunternehmen Lass aus Schleswig-Holstein deutlich. So sei beispielhaft in der Gemeinde Gettorf durch die Kopplung von Windkraft, Photovoltaik und Biomasse ein 100%-CO2-freies Zukunftsquartier geschaffen worden. Bis zum Jahr 2035, so Lass, könnten 300 Orte bzw. 750.000 Haushalte in Schleswig-Holstein zu 100% mit einem Wärmebedarf von 9 TWh klimaneutral werden. Damit würden 50% der Einwohner Schleswig-Holsteins mit derzeitigem Ausbaupfad und einem Teil der vorhandenen Biomasse klimaneutral. Die jährliche CO2-Einsparung läge bei über 2,2 Millionen Tonnen. Für die Umsetzung dieses Vorhabens bilde jedoch die derzeitige Gesetzeslage ein Hindernis. So diskriminiert unter anderem das EEG-2024 (BMWK) derzeit Biomasse in KWK-Anlagen (Kraft-Wärme-Kopplung). Zudem müsse für eine gelingende Energiewende endlich auch das Ausschreibungsvolumen im EEG zügig angehoben werden.
AEF fordert klares Bekenntnis zur Bioenergiemasse
Sven Guericke, Vorsitzender des AEF, forderte von der Politik ein entschlossenes Bekenntnis zur Bioenergiemasseproduktion. Die Mehrheit der Biogasanlagenbetreiber sieht der Zukunft mit Sorge entgegen. Hoffnung gebe jedoch die angekündigte Reform der Biomasseförderung durch Bundesminister Habeck. „Deutschland braucht flexible Stromerzeugung und regionale Wärmeversorgung. Das enorme Potenzial von Biogas, besonders für ländliche Räume, darf nicht ungenutzt bleiben“, so Guericke.