Heftiger Kritik musste sich FDP-Agrarparlamentarier, MdB Dr. Gero Hocker, im Rahmen der diesjährigen Mitgliederversammlung des Agrar- und Ernährungsforums Oldenburger Münsterland e.V. (kurz: AEF) in Dinklage aussetzen.
Sven Guericke, der Vorstandsvorsitzende des AEF hatte Hocker eingeladen, um Stellung zum Umbau der Tierhaltung in Deutschland und der fehlenden Finanzierung zu beziehen. Über 100 Unternehmensvertreter der Agrar- und Ernährungsbranche waren der Einladung nach Dinklage gefolgt.
In seinen Eingangsworten skizzierte Guericke die schwierige Situation der Tierhalter in Deutschland. Noch nie seien die Herausforderungen für die Branche so immens gewesen. Das gelte nicht nur für die Urproduktion, sondern für die gesamte Wertschöpfungskette. Steigende Energie- und Rohstoffkosten, Anhebung des Mindestlohns, die hohe Inflation sowie niedrige Erzeugererlöse führten zu einer ausweglosen Lage auf den landwirtschaftlichen Höfen, so dass immer mehr Landwirte ihre Betriebe für immer aufgäben.
Der Politik warf Guericke vor, Grabenkämpfe innerhalb der Koalition auf den Rücken der Landwirte auszutragen und dabei wissentlich die Branche sukzessive ausbluten zu lassen. „Die Regierungskoalition macht bei vielen Themen keinen geschlossenen Eindruck. Es entsteht vielmehr der Verdacht, dass im Fachbereich des Bundeslandwirtschaftsministeriums heute ideologische Überzeugungen einen höheren Stellenwert haben als Sachargumente“, so die Aussage von Guericke. Andere Ministerien zeigen doch, wie sachorientierte Politik funktioniert. Dabei lägen längst tragfähige Empfehlungen für einen wirtschaftlich verträglichen Umbau der Tierhaltung vor. Viel zu lange, so Guericke, habe sowohl die alte Bundesregierung als die jetzige taktiert und sich auf keinen Konsens zum Finanzierungsmodell und zu der Anpassung des Bau- und Immissionsschutzgesetzes einigen können.
Erfreut zeigte sich Guericke indes über die Festlegung der verpflichtenden Haltungskennzeichnung. So sei er erleichtert, dass sich diese nicht an die zuvor angekündigte „Eierkennzeichnung“ anlehne, sondern sich an die bereits am Markt etablierten Haltungsstufen orientiere. Aber er machte auch deutlich, dass die Konzepte der Bundesregierung noch vieles vermissen lassen: die verbindliche Herkunftskennzeichnung, die Einbeziehung der Außer-Haus-Verpflegung und verarbeiteter Ware. All‘ das führe dazu, dass der LEH, die Gastronomie und nicht zuletzt die Verbraucher aufgrund des Preisdrucks verstärkt auf Ware aus dem Ausland zurückgreifen würden. Das dürfte, so Guericke, selbst Cem Özdemir nicht verborgen geblieben sein.
Die jetzt angekündigte Finanzierungsleistung in Höhe von 1 Mrd. Euro reiche schlichtweg nicht aus, den Umbau der Tierhaltung voranzutreiben. „Von der einen Milliarde, die die Bundesregierung zur Verfügung stellen will und die nicht annähernd für den Umbau der Tierhaltung ausreichend ist, werden niedersächsische Tierhalter so gut wie nicht profitieren, weil unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen diese Mittel aus bau- und immissions-rechtlichen Gründen gar nicht abgerufen werden können. Dabei brauchen wir auch hier dringend einen langfristig abgesicherten Rechtsrahmen.“, so der Vorwurf Guerickes an die jetzige Bundesregierung.
Ländliche Räume seien auf eine intakte Landwirtschaft und ihrer vor- und nachgelagerten Bereichen angewiesen. Daher sei es umso wichtiger, dass die Politik nun endlich das Heft des Handelns in die Hand nähme, um den Transformationsprozess voranzubringen. Dabei müsse die Bundesregierung endlich den Fokus auf einen schnellen und zügigen Breitbandausbau legen, damit alle Innovationspotentiale, die Digitalisierung und Künstliche Intelligenz für die Branche vorhalten, auszuschöpfen.
Der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft im Deutschen Bundestag, Dr Gero Hocker, unterstrich die Wichtigkeit des wenngleich kritischen Austausches mit den Praktikern. Viel zu oft befände sich Politik in ihrer eigenen „Berlin-Bubble“. Die Branche sei in den letzten Jahren und Jahrzehnten mit falschen Versprechungen und immer stärkeren Auflagen in diesen Veränderungsprozess hineingeraten.
Ihn wundere es, warum jeder investitionswillige Landwirte nicht zunächst auf die Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen poche, um zumindest langfristig eine Sicherung seiner Investition zu erhalten. Sich zum jetzigen Zeitpunkt auf ein Finanzierungsmodell festzulegen, halte er für falsch. Vielmehr müsse es ein Auflagenmoratorium für die Landwirtschaft geben, genau dafür habe sich die FDP in der Vergangenheit stark gemacht.
So lehnte Hocker eine Erhöhung der Mehrwertsteuer aufgrund der Tatsache, dass diese nicht zweckgebunden sei, grundsätzlich ab. Ebenso stellte er eine Tierwohlabgabe pro Kilo in Deutschland gehandeltes Fleisch in Frage. Am Beispiel des Solidaritätszuschlages könne man die Zweckentfremdung der geflossenen Mittel beobachten. Ähnliches lässt Hocker bei einer Tierwohlabgabe befürchten. Denkbar sei für die FDP eine marktgetriebene Lösung, ein privatwirtschaftlicher Fonds, ähnlich der ITW. Dieses Modell sei dem unmittelbaren Zugriff des Gesetzgebers entzogen.
Kontovers und kritisch äußerten sich die Teilnehmer zu den Aussagen Hockers. Es könne nicht sein, dass Politik unnötig viel Zeit verstreichen lasse, derweil viele Familienbetriebe ob der Perspektivlosigkeit und der Verweigerungshaltung der Bundespolitik ihre Tore für immer schließen würden. Er musste sich den Vorwurf gefallen lassen, dass es doch besser sei, etwas nicht vollständig „Ausgereiftes“ auf den Weg zu bringen, als schlichtweg gar nichts zu unternehmen. Dieses dürfte Hocker von der Tagung mit nach Berlin genommen haben.
Im offiziellen Teil der Veranstaltung hatte sich der gesamte Vorstand des AEF erneut für weitere drei Jahre zur Verfügung gestellt. Als neues Vorstandsmitglied wurde Dr. André Vielstädte von der EW-Group als Nachfolger von Dr. Michael Lüke in den Vorstand des AEF gewählt.